Die Wirtschaftspolitik der westlichen Industriestaaten bewegt sich seit mehreren Jahrzehnten innerhalb zweier Gegensätze: der linksangesiedelte Ansatz verfolgt die Idee einer vom Staat kontrollierten – oder zumindest stark beeinflussenden Wirtschaftspolitik, während die rechts/ konservativorientierten Ideen eine liberale, selbstregulierende Wirtschaft favorisieren.
Eine Grundannahme liegt jedoch allen praktizierenden Wirtschaftstheorien zugrunde: Die Idee eines grundsätzlichen Wirtschaftswachstums. Eine Idee, die seit etwa 500 Jahren funktioniert und die die westliche Welt, wie wir sie heute kennen, geformt hat.
Die Grundannahme dieser Idee beruht auf dem Handel. Handel bedeutet, ein Gut einzukaufen und mit einer Gewinnspanne zu verkaufen. Dabei ist die Gewinnspanne umso höher, je höher die Nachfrage in Bezug auf die Verfügbarkeit ist.
Aus dieser Idee entwickelten sich die ersten Handelswege. Gleichzeitig ist eine höhere Spanne dann möglich, wenn wenig Informationen (z.B. reale Einkaufspreise etc.) vorhanden sind.
Die Entwicklung menschlicher Kulturen hängt also direkt mit deren Handelsbeziehungen zusammen.
Zusammengefasst beruht unsere gesamte Wirtschaftskultur auf zwei Faktoren: Dem Vakuum von Ware und von Information.
Mit der Seidenstraße, der Entdeckung der Seewege nach Amerika und Indien, der Erfindung der Eisenbahn, des Automobils und des Flugzeugs, verfolgte der Mensch immer das gleiche Ziel:
Ein Wettbewerbsvorteil durch den schnelleren und effizienteren Transport eines Gutes, um das bestehende Warenvakuum für eine möglichst hohe Gewinnspanne zu nutzen.
Alle diese Errungenschaften erhöhten die Produktivität des Einzelnen. Das BIP eines westlichen Staates kannte über Jahrhunderte nur eine Richtung: Wachstum.
Dabei stützt sich das gesamte Wirtschaftssystem auf drei Säulen: Den Handel mit Waren, Dienstleistungen und das Bankenwesen. Das Bankenwesen unterteilt sich dabei im Wesentlichen auf zwei weitere Bereiche: das Börsengeschäft, deren wichtigste Waffe die schnell verfügbare Information ist und das Kreditwesen.
Seit etwa zehn Jahren löst sich die Grundlage unseres Wirtschaftssystem in atemberaubender Geschwindigkeit auf.
Wir haben eine globale Infrastruktur geschaffen, die einen kontinuierlichen Fluß an Ware ermöglicht. Wo Ware nicht kontinuierlich fließt, dürfte sie doch innerhalb 24 Stunden verfügbar sein.
Mit den Möglichkeiten des Internets besteht eine beinahe Gleichzeitigkeit an Informationen. Schon heute werden über 80% der Käufe und Verkäufe an den Börsen, aufgrund von Computeralgorithmen getätigt, die Ihren Gewinn aus hundertstel Sekunden Informationsvorsprung ziehen.
Wenn aber Ware – und die Information über deren Wert – auf der ganzen Welt zeitgleich vorhanden ist, sinkt deren Gewinnspanne gegen Null. Das bedeutet das Ende des Wachstums und des uns bekannten Kapitalismus.
Wir müssen uns nochmal bewusst machen, dass der Wohlstand unserer Gesellschaft auf der Gewinnspanne unseres Handelns beruht. Der Handel ist dabei auch die Basis unseres Dienstleistungs- und Bankenwesens. Jedem Gehalt, das am Ende eines Monats ausbezahlt wird, muss eine Gewinnspanne zugrunde liegen! Sinkt diese Gewinnspanne, implodiert das System.
Dabei gibt es einige Faktoren, die das Implodieren – gefühlt oder tatsächlich – verzögern.
Der Konsument befindet sich dabei in der trügerischen Blase eines subjektiven Wohlstandes. Durch den Internethandel sind sämtliche Waren und Dienstleistungen transparent, vergleichbar und leicht konsumierbar. Die Kaufkraft des Einzelnen erhöht sich. In dieser Übergangsphase des Kollapses ist der Einzelne paradoxerweise kurzfristig der Profiteur.
Er kann mehr Güter konsumieren und günstig Dienstleistungen in Anspruch nehmen (Amazon, Uber, Airbnb etc.).
Gleichzeitig sorgt der Wandel durch das Internet nicht für eine Steigerung der Produktivität, wie es z.B. Folge der industriellen Revolution gewesen ist.
Die tatsächlichen Faktoren der Verzögerung lassen sich durch zwei Strategien beschreiben. Zum einen ist es die Strategie der künstlichen Schaffung eines Konsumbedürfnisses, welche der Luxus- und Lifestyleindustrie zugeordnet werden kann. Zum anderen ist es die Strategie der Erschaffung eines künstlichen Marktvakuums – vorangetrieben durch die Rohstoff – und Lebensmittelindustrie.
Die erste Strategie nutzt dabei weiche Faktoren, um künstlich eine Gewinnspanne zu generieren. Schaffung einer Marke oder künstliche Verknappung sind dabei die klassischen Mittel. (z.B. Apple, Louis Vitton etc.). Daher ist es auch möglich, dass börsennotierte Unternehmen nur aufgrund ihrer „Marktwerte“ für das vielfache ihrer eigentlichen „harten“ Unternehmenswerte gehandelt werden.
Die zweite Strategie zur Erschaffung eines künstlichen Marktvakuums ist die Errichtung verschiedener geschützter Wirtschaftszonen, wie z.B. die EU oder BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Über Handelsbestimmungen, Subventionen oder Zölle, können künstlich Gewinnspannen generiert werden. Dadurch ergeben sich aus Kriegs- und Krisengebieten künstliche Vakuen. Infrastruktur wird einerseits zerstört und muss andererseits wieder aufgebaut werden. Handelsbeziehungen können dann neu definiert werden.
Auch wenn diese Faktoren die Implosion nur hinauszögern werden, werden Sie für die Menschheit weitaus gravierendere Folgen haben, als die erstgenannten „weichen“ Faktoren.
Denn die grundlegende Idee dieser Strategien ist immer die Abgrenzung. Und Abgrenzung bedeutet im Umkehrschluß Ausgrenzung. Dies wiederum ist der Ausgangspunkt für weiteres Konfliktpotential und wirft die Frage nach grundsätzlichen Werte – und Moralvorstellungen einer Gesellschaft im 21.
Jahrhundert auf.
Resultierend aus diesen Überlegungen dürfte eines klar sein: Während eine verschwindend geringe Zahl an Menschen über unvorstellbaren Wohlstand verfügen wird, wird es unter dem Rest der Menschheit zu einer Angleichung des Lebensstandards kommen. Für uns Europäer und vor allem für Deutschland, als eines der Länder mit dem höchsten Lebensstandard, wird das mit einem deutlichen Verlust an Lebensqualität einhergehen.
Inwiefern Deutsche und Europäer bereit sind, historische Errungenschaften, wie Demokratie, Gleichberechtigung, Sozialstaatlichkeit etc., beizubehalten und zu verteidigen wird sich herausstellen. Nachdem laut Berthold Brecht zuerst das Fressen und dann die Moral kommt, bin ich allerdings vorsichtig pessimistisch.
χ Tobias Vetter