Ich war arm, und würde es auch bleiben. Doch zu Geld wollte ich gar nicht unbedingt kommen. Ich wußte nicht, was ich wollte. Oh doch, ich wußte es: Einen Ort, wo ich mich verkriechen konnte.
Charles Bukowski
Da steht er, betrachtet nachdenklich die Ducati 900 SD Dharma Baujahr 1978 in seinem Büro. Seine Ducati. Reißt sich aus seinen Gedanken und verabschiedet mich. Nicht, ohne mich reich beschenkt zu haben. Kurz zuvor turnte er noch um den Tisch herum, zeigte mir in seinem Blog „Jochen unzensiert“ seinen letzten Norwegen-Clip: selbstgedreht, mit einem Felsen als Stativ.
Ein Mann und ein Dorsch. Der ihm nach drei geschlagenen Stunden ohne Fang doch an die Angel ging, als er einfach nur die Stille und die schöne norwegische Oktobersonne für seine Liebste daheim filmen wollte. In dem Moment, als er gar nichts erwartet. Er lacht begeistert, wie ein glückliches, großes Kind. Schaut den Dorsch wieder und wieder entzückt an, hält den Fisch ganz nah vor die Kamera, und teilt aus seiner großen Pelzmütze heraus mit, dass er nun die Kühltruhe wieder anschmeißen wird, um den Dorsch anderntags mit nach Hause zu nehmen und ihn „schön im Backofen zu braten“.
Setzt sich wieder zu mir an den Tisch, aber nein, die Vinyasa-Flow-Yoga-Übung, die ausgerechnet „The Wild Thing“ heißt und mich an Capoeira erinnert, zeigt und erklärt er mir auch noch. Der Mann ist nicht nur in seinem Blog, sondern immer unzensiert. Einfach echt. Ein Viech, sagen die bei mir daheim über so einen. Selbst ein so weitläufiges, lichtes Büro hoch droben über den Dächern Münchens ist für so jemand zu eng, einfach nicht der passende Ort. Obwohl man selbst hier mit ihm in 30 Minuten mehr erleben kann als mit anderen in 30 Jahren. Wüstendurchquerer, Drachentöter, Abenteurer, Kanute, Turmspringer, Stuntman, Unternehmer. „Ich helfe Menschen dabei, für einen Moment lang aus ihren Gewohnheiten auszusteigen, damit außergewöhnliche Momente möglich werden. Momente, an die man sich erinnern kann. Immer und immer wieder. Es sind diese Momente, die in der Erinnerung aus den grauen Alltagsbildern hervorleuchten. In der Erinnerung sind sie viel länger und intensiver, als ein ganzes Jahr längst vergessener Routine. Und außerdem nimmt die Erinnerung an positiv bewältigte Herausforderungen die Angst vor der Zukunft. Wer Vertrauen zu sich selbst hat, macht weder anderen Angst, noch lässt er zu, dass andere ihm Angst machen. Unsere Gesellschaft, jede Gesellschaft, braucht eigentlich noch viel mehr solche Menschen!“ Er hat seine Leidenschaften zum Beruf gemacht und verkauft anderen Menschen Erlebnisse. Erlebnisse, die bei den meisten Menschen unvergessliche Eindrücke hinterlassen. Das alles weiß fast jeder. Was – bis zum Erscheinen seiner Biographie im Oktober – vielleicht nicht jeder wusste: dieser Unternehmer ist ein Mensch. Mit einem wilden Herzen, Mut und Lebenswillen, gewachsen an Zweifeln und in Niederlagen. Der im wahrsten Sinn des Wortes, mit allen möglichen Wassern gewaschen wurde. Einer, der imstande war, aus den dunkelsten Episoden seines Lebens heraus unglaubliche Entwicklungen zuzulassen. Der alles aufschrieb, unter anderem für all diejenigen, die etwas übers Machen, über Zuversicht und entschlossenes Handeln – nicht Angstlosigkeit – wissen wollen. Und warum Menschen fliegen können, warum sie fliegen können müssen.
„Der Traum vom Fliegen bedeutet, die Grenzen des Hier und Jetzt zu sprengen. Die eigene Angst zu überwinden…Jeder Mensch kann das tun. Ich glaube sogar, dass er es tun muss, wenn er fühlen will, wieviel Lebendigkeit in ihm steckt.“
Wer ist sein Held? Er muss lange nachdenken. Sehr lange. „Nein“, sagt er zuletzt, „nein, ich kenne keinen, der vollständig meinem Vorbild entspräche. Aber ich liebe Mythologien. In einer nordischen Sage gibt es für mich so einen aufrechten Helden. Die Sage handelt von einem gefürchteten Schwertkämpfer, der als unbesiegbar galt. Dieser wurde von einem feindlichen Volk in einer Netzfalle gefangen und sollte dann unehrenhaft sterben, indem er gefesselt in eine Wolfsgrube gestoßen wurde. Ein ehrenhafter Tod aber ist auch für die nordischen Krieger nur einer mit einem Schwert in der Hand. Der König des feindlichen Volkes fragte den gefesselten Kämpfer nach seinem letzten Wunsch. Der lautete: mit dem Schwert in der Hand zu sterben. Die Fesseln wurden durchtrennt, das Schwert gereicht. Der Krieger hätte nun ausbrechen und fliehen können. Aber das tat er nicht. Er sprang in die Grube und starb im Kampf mit den Wölfen. Das ist für mich der perfekte Held. Einer, der die Ehre, das gegebene Wort, und sein persönliches Lebensprinzip über alles, auch das eigene Leben, stellt.“
„Keine Panik. Keine Angst. Eher so ein Gefühl wie: Aha, so ist das also. Ich nahm mit ruhiger Gewissheit an, dass es aus dieser Situation kein Entrinnen geben würde. Aber ich empfand keine Angst. Nur Bedauern. So ein Gefühl wie: Schade, dass es schon vorbei ist. Ich bin doch noch so jung.“
Wie er sterben möchte? Er denkt wieder nach…“Es geht“, meint er dann, „gar nicht so sehr darum, ja, es ist eigentlich gar nicht so wichtig, wann und wie man stirbt, sondern wie man lebt. Fakt ist, dass wir sterben. Und deshalb ist es so wichtig, sein Leben so zu leben, dass man seine Möglichkeiten ausschöpft und die Zeit der realen Existenz nutzt.“
„Ein anderes Gesetz sagt, dass jeder Mensch ein ureigenes Talent besitzt, ein Talent, das ihn einzigartig macht und ihn von allen anderen Menschen unterscheidet. Das Gesetz sagt, dass dies für jeden Menschen gilt, der auf dieser Erde existiert. Ich habe sehr lange gebraucht, um dieses ureigene Talent zu entdecken – obwohl ich es eigentlich von frühester Kindheit an ausgelebt habe.“
Wenn es heute für ihn soweit wäre, was für einen Gedanken hätte er da? Würde er bereuen, irgendetwas nicht getan zu haben? Wieder ein nachdenklicher Blick, er schweigt….es gäbe noch so viel zu tun, aber alles zu seiner Zeit. „In der Vergangenheit bin ich an die Grenzen dessen gegangen, was mir möglich war. Zufriedenheit? Ein gefährlicher Zustand! Wie eine Lähmung. Nein, man muss hungrig sein, hungrig bleiben.“
„Im Moment der Schwerelosigkeit war mir klar, dass hier etwas ganz besonderes mit mir passierte. Ich hatte auch vorher schon oft mein Leben aufs Spiel gesetzt, war – physisch und psychisch – in extremen Situationen gewesen, hatte Verletzungen und Narben davongetragen. Innere und äußere. Aber erst in diesem einen Moment setzten sich die einzelnen Teile meines Lebenspuzzles zu einem neuen, größeren Ganzen zusammen.“
Was für einen Rat gibt er seinen Söhnen mit auf den Weg? „Folge deinem Herzen! Gib niemals auf!“ Und seiner Tochter? „Klar, hundertpro dasselbe!“
„Wir Jungs können eben ein Feuer auspinkeln, ohne uns dabei den Hintern zu verbrennen.“
Wir fliegen.
S. DeZilva
Zitate aus: Jochen Schweizer, Warum Menschen fliegen können müssen, riva Verlag, München 2010