Totalitarismus 2.0 … Gedanken zu einer ökonomisierten Gesellschaft

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Totalitarismus als Ende und Ergebnis vollkommener Ökomomie

Am Beispiel Adolf Hitlers haben wir gelernt, was Faschismus bedeutet. Die bedingungslose Ausrichtung auf eine Idee, verkörpert durch den Führer, gestützt durch ein kontrolliertes und kontrollierendes Netzwerk. In ihm als Person sehen viele das personifizierte Böse. Gleichwohl stießen seine Grundüberlegungen auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und bestehende Strukturen führten dazu, dass er schließlich als Einzelner über ultimative Macht verfügte.

Nun war Adolf Hitler eine Persönlichkeit, mit klarer Vision, Weltbild und Überzeugung. Und schon bei seinen ersten, öffentlichen Auftritten tat er diese Vorstellungen kund. Diese Profilierung führte bei seinen Zuhörer zu einer klaren Reaktion: man war für oder gegen ihn. (wer sich nach außen neutral verhielt, hatte meist eine klare innere Haltung). Und auch wenn sich der Einzelne das spätere Ausmaß seiner Handlungen als Führer des deutschen Reiches nicht vollends hat ausmalen können, man war zumindest gewarnt gewesen.

Aus der Geschichte des 3. Reiches haben gerade wir Deutschen gelernt, bestimmten Themen mit äußerster Sensibilität zu begegnen. Auch wenn es Jahrzehnte gedauert – und immer noch andauert – es gibt eine Aufarbeitung der Verbrechen des 3. Reiches. Damit einhergehend haben wir eine kollektive, gesellschaftliche Idee gefunden und verinnerlicht, wie ein Zusammenleben nach 1945 möglich sein kann. Diese Idee hat sich manifestiert in einer gelebten Demokratie, geschützt durch das Grundgesetz, bis hin zu einem vereinten Europa. Wir haben uns als Gesellschaft neue moralische und ethische Werte erarbeitet. Viele dieser Werte stehen in direktem Bezug zu unserer faschistischen Vergangenheit.

Und obwohl wir wach waren und das Gesicht des Mannes mit dem charakteristischen Bärtchen unser kollektives Bewusstsein prägt, befinden wir uns auf dem direkten Weg in einen strukturellen Faschismus. Starker Tobak?

Anstelle eines kreischenden und fuchtelnden Mannes, der uns heute in dieser Form allen suspekt wäre, stelle ich in Gedanken ein einzelnes Wort: Ökonomie.

Alles folgt den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie. Neben vielen möglichen Beispielen möchte ich mich in diesem Artikel auf die Bedeutung des Internets konzentrieren. Die rasante Ausbreitung und das ebenso rasante Wachstum des Internets, folgt einer einfachen Logik. Es ist die Logik des Wettbewerbvorteils, die durch die Beschleunigung von Informationen lebt. Nun, da wir beinahe in Echtzeit mit Bild- und Textinformationen versorgt werden (instagram, twitter, facebook etc.) ist es eine logische Konsequenz, dass die Ökonomie einen weiteren
Level fordert: bessere Qualität der Echtzeitinformationen.

Wer heute einen Wettbewerbsvorteil erreichen will, braucht detaillierte Informationen über seine Zielgruppe. 

Was vor einigen Jahren noch nach Science Fiction geklungen hätte, ist in diesem Moment Wirklichkeit. Wir selbst liefern tagtäglich, bewusst oder unbewusst, diese Informationen. Wir haben die völlige Transparenz bereits erreicht. Es ist kein finsteres Szenario. In unseren Smartphones befinden sich GPS Sender sowie Mikrofone und Lautsprecher. Sie verfügen, genau wie unsere Computer, über fest zu zuordnente IP Adressen. Über Clouddienste und Synchronisationsprogramme werden Verbindungen unter den Geräten registriert. In Echtzeit wird unser komplettes Surfverhalten überwacht und analysiert. Über Kredit- und EC Kartenaktionen, sowie Krankenkartenchips können genaue Persönlichkeitsprofile erstellt werden.

Mit Gesichtserkennungssoftware kann jede Person identifiziert und Bewegungs- und Verhaltensprofile erstellt werden. Jeder der auf irgendwelchen Fotos zu sehen ist, kann dort markiert und erkannt werden.

Naiv ist zu glauben, dass diese Überwachungsmechanismen immer eine direkte, spürbare kriminelle Handlung zur Folge hätten. Der Durchschnittsuser dürfte annehmen, dass er Opfer von Cyberkriminalität geworden ist, wenn sein Konto leer geräumt wurde. Und da dies selten geschieht, wiegt sich die Mehrheit der Bevölkerung in Sicherheit.

Dabei wird ihnen längst etwas viel wertvolleres geraubt: ihre komplette Identität. 

Ist ihnen diese Vorstellung zu abstrakt?

Begeben wir uns direkt in die Medienwelt. Hier wird in Echtzeit das Userverhalten analysiert. Selbst wir bei Seestyle Media nutzen für unsere Onlinekunden und unsere eigene Seite, eine Analysesoftware. Große Onlinezeitungen wie die New York Times oder The Guardian, nutzen Softwaresysteme die bis zu 10 Millionen User in Echtzeit detailliert analysieren. Diese Analyse ist notwendig, um Userrelevante Inhalte zu generieren. So wird die gleiche Sachinformationen solange in ihrem Erscheinungsbild verändert, bis sie die maximale Aufmerksamkeit erzeugt. Je spezifischer das Analysesystem, desto präziser können Werbeinhalte positioniert werden. Je mehr Werbeinhalte positioniert werden, desto größer der Gewinn. Und um die Effizienz der positionierten Anzeigen zu steigern, müssen die Zielgruppen so präzise wie möglich bekannt sein. Denn längst geht es nicht mehr um reine Klicks, sondern um die Verweildauer auf einem Inhalt.

Genau an dieser Stelle hat sich die sogenannte „Informationsgesellschaft“, wie es noch z.B. für die 1990er Jahre gegollten hat, zu Grabe getragen. Die Gesellschaft wird nicht mehr mit Informationen versorgt, die über journalistische Qualität und Unabhängigkeit verfügen. Vielmehr bekommt der einzelne seine „persönlichen“ Nachrichten mit ausschließlich für ihn relevantem Inhalt – inklusive Werbebotschaft – zusammengestellt.

Der einzelne Bürger wird so zu seinem eigenen Bezugssystem. 

Das Ende der gepriesenen Freiheit des Internets. Suchmaschinen und Optimierungssoftware von Onlinemarketingunternehmen haben den Einzelnen längst auseinander genommen und überfluten ihn mit gezielten Informationen. Je erfolgreicher sie analysiert wurden, desto mehr verdient das Unternehmen der Analysesoftware.

Der Ökonomisierungswahn spielt in alle gesellschaftlichen Bereiche – nicht nur in die rein betriebswirtschaftlichen: Sozialwesen, Kulturbetrieb, Bildungswesen.

In dieser Welt ändert sich die Position des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft grundlegend. So schreibt Byung-Chul Han , Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität Berlin, in einem Gastbeitrag der SZ: “Die systemerhaltende Macht ist nicht mehr repressiv, sondern verführend“ und weiter:

„Das unterworfene Subjekt ist sich nicht einmal seiner Unterworfenheit bewusst“.

Während bisher der Einzelne seine Persönlichkeitsentwicklung in einem Dialog mit einer bestehenden

Gesellschaftsstruktur vollführte, steht er nun im Mittelpunkt seines eigenen Kosmoses. Der Einzelne wird nicht nur dauerverführt durch sich selbst, sondern vernetzt sich dank medialer Möglichkeiten auch innerhalb relevanter Zielgruppen.

In einem System, wo Milliarden Menschen in Echtzeit analysiert, gebündelt, zugeordnet und strukturiert werden können und indem gleichzeitig keine regulierenden Werteparameter (wie in unserer Gesellschaft z.B. das Grundgesetz) gelten, ist es nur eine Frage der Zeit, wo sich Massen von Individuen aufgrund niedrigster Motivationsgründen organisiert bekommen. Das geschieht entweder aus der Eigenmotivation vieler Einzelner, oder kann von Einzelnen an entsprechenden Schnittstellen gestaltet werden.

Die Veranstaltung „Hooligans gegen Salafisten“ in Köln, ist ein recht gutes Beispiel aus jüngster Vergangenheit, wie sich Gruppen verschiedener Interessen, aufgrund ihres „niedrigsten“ Gemeinsamen Nenners, in kürzester Zeit organisieren können.

Auf die Gesellschaft im Ganzen blickend, überfällt einem an Hand dieser Gedanken eine lähmende Ohnmacht. Von sich als Einzelnem ausgehend, halte ich es mit der Konzeptkünstlerin Jenny Holzer: „Protect me from what I want“.

 

 Tobias Vetter