Psychologie Beziehungsprobleme – Dr. Noll schreibt “Beziehungen leicht gemacht”
Es scheint ein gewisser unausgesprochener Konsens darüber zu bestehen, dass Beziehungen kompliziert sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wir alle haben wohl schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass die Beziehung zu Familienangehörigen, Arbeitskollegen, ganz zu schweigen von Lebenspartnern, sich mitunter recht schwierig gestalten kann. Selbst unter guten Freunden läuft nicht immer alles reibungslos.
Ratgeberliteratur zu den verschiedensten Bereichen menschlicher Beziehungen füllt meterweise die Regale der Buchhandlungen, selbsternannte Coachs und Berater mit mehr oder weniger dubiosen Qualifikationen bieten Seminare oder gleich ganze „Ausbildungen“ an, Filme und Fernsehsendungen zeigen uns wie die Reichen und Schönen interagieren – die müssen es ja schließlich wissen – und auch in der psychotherapeutischen Praxis ist meistens der Umgang mit den Mitmenschen das Thema, das die Leute am meisten beschäftigt, bewegt und quält.
Warum ist es aber nun so kompliziert? Die simple Antwort ist wie so häufig: weil wir es kompliziert machen. Genauer gesagt, weil wir Vorstellungen von Beziehungen und Erwartungen an Beziehungen entwickelt haben, die mit der Realität nichts zu tun haben. Woher kommen diese Erwartungen und Vorstellungen? Ohne ins Detail gehen zu wollen lauten die üblichen Verdächtigen Ursprungsfamilie, soziale Vergleichsgruppe, Gesellschaft, vielleicht auch Hollywoodfilme und „Experten“. Wo genau sie herkommen ist auch weniger wichtig als der Fakt, dass sie der Realität wie wir sie alle erleben in den Erfahrungen, die wir machen, mehr oder weniger krass widersprechen. Der am weitesten verbreitete Weg mit dieser Diskrepanz umzugehen besteht nun in dem Versuch die gelebte Realität den Vorstellungen anzupassen. Ich nenne diese Alternative gerne den „Weg des Leidens“, weil schon vorher feststeht wer im Kampf Vorstellungen gegen Realität gewinnt. Und zwar immer.
Eine bittere Erkenntnis für die vielen Menschen, die im Zweifelsfall bereit sind zu sterben oder zumindest sehr zu leiden, z. B. unter einer psychischen Störung, anstatt eine Vorstellung aufzugeben, wie etwas zu sein hat. Ein sinnloser Kampf, der verloren ist, bevor er begonnen hat. Beschränken wir uns in diesem Rahmen auf unser Thema „Beziehungen“. Wie sieht denn dann ein Ansatz aus, der sich real gelebten Beziehungen nicht ausgehend von unseren (Wunsch-)Vorstellungen nähert, sondern von Seiten der Realität?
Nun, zunächst kann man sich klar machen, dass keine zwei Menschen immer genau das Gleiche wollen, also niemals identische Bedürfnisse haben. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass es sich um unterschiedliche Menschen handelt. Wer jetzt ausruft „Mein Partner will aber immer genau das Gleiche wie ich.“, darf von mir aus natürlich weiter in dieser Illusion leben, allerdings wird dies einen oftmals nicht unerheblichen Preis haben. Auch diesen Preis können Sie leugnen, was jedoch nicht heißt, dass Sie ihn nicht zahlen.
Wer den Artikel jetzt noch nicht zur Seite gelegt hat, wird mir wohl zustimmen, dass unterschiedliche Menschen zwangsläufig zu einem gewissen Teil unterschiedliche Bedürfnisse haben. Andererseits wird es auch Überschneidungen in den Bedürfnissen geben. Das können solche Trivialitäten sein wie welchen Film man im Kino schaut oder ob man italienisch Essen geht oder Wünsche und Bedürfnisse mit weiterreichenden Konsequenzen wie ob man Kinder möchte oder wie viel Zeit man grundsätzlich mit seinem Partner verbringen möchte. Aus den Bedürfnissen zweier Personen ergibt sich somit ein natürlicher Überschneidungsbereich gemeinsamer Wünsche und Bedürfnisse und jeweils ein Bereich eigener Bedürfnisse, den der Andere nicht teilt. Diesen Überschneidungsbereich könnte man „gemeinsames Eigeninteresse“ nennen. Dieser Bereich hat zwischen Ihnen und jeder anderen Person eine feste Größe. Dies ist der zentrale Punkt, dass die Größe dieses natürlichen Überschneidungsbereichs per Definition – oder besser gesagt aufgrund von Logik – nicht veränderbar ist. Er ist gegeben durch die Bedürfnisse, die zwei Personen zu einem gegebenen Zeitpunkt nun einmal haben.
Natürlich kann man Bedürfnisse verleugnen, sie den Bedürfnissen Anderer unterordnen oder sich bewusst entgegen seiner Bedürfnisse verhalten. Was man aber nicht kann, ist sich dazu zu bringen andere Bedürfnisse zu haben – ebenso unsinnig wäre übrigens, dies von seinem Gegenüber zu verlangen.
Bisher habe ich keinen Unterschied zwischen einer Paarbeziehung und sonstigen Beziehungen gemacht. Wo Sie die Grenze ziehen wollen, müssen Sie für sich selbst entscheiden. Ich persönlich unterscheide eine partnerschaftliche Beziehung dadurch von anderen Beziehungen, dass sie eine körperliche Komponente enthält. Diese Definition ist relativ willkürlich und spielt für die grundsätzlichen Überlegungen zu Beziehungen keine Rolle.
Der oben definierte feste natürliche Überscheidungsbereich wird also mit manchen Personen 0%, mit anderen 10%, 30%, 50% oder vielleicht auch mal 80% betragen, sicher aber nie 100%. Daraus ergibt sich quasi „von alleine“ wie nah Ihnen jemand ist, also wie eng die Beziehung ist bzw. sein könnte. Um auf unsere Eingangsfragestellung zurückzukommen können Sie jedwede Beziehung nun dadurch komplizieren und sich und Ihrem Gegenüber Leiden zufügen, indem Sie darauf beharren den gegebenen Anteil gemeinsamen Eigeninteresses an Ihre Vorstellungen anpassen zu wollen. Sie erinnern sich: der alte Realität-vs.-Vorstellungen-Kampf.
Also machen Sie sich Ihre tatsächlichen Bedürfnisse bewusst und unterscheiden Sie diese von Ihren gelernten/indoktrinierten Vorstellungen über Beziehungen. Finden Sie heraus, was die Bedürfnisse Ihres jeweiligen Gegenübers sind und machen Sie sich klar wie viel natürliche Überschneidung also wie viel „gemeinsames Eigeninteresse“ mit dieser Person besteht. Akzeptieren Sie die Realität dieser gegebenen Überschneidung und entscheiden Sie, ob Sie die Beziehung unter diesen Umständen aufrecht erhalten wollen.
Es liegt also an Ihnen, ob Sie sich darin aufreiben Ihre Beziehungen an Ihre Vorstellungen anzupassen oder ob Sie die reale Bedürfnisüberschneidung mit einer bestimmten Person akzeptieren und die Nähe in dieser Beziehung und wie viel Zeit Sie mit dieser Person verbringen daran bemessen.