Es ist das Ungehörte in uns, das unserer Seele Form verleiht und unser Geschick gestaltet.
Khalil Gibran, Der Prophet
Die Welt ist laut und leise Töne haben oft kaum eine Chance, Gehör zu finden. Mit dem in Tutzing lebenden Musiker Peter Maffay, sprachen wir über das In-sich-Hinein-Horchen, über die Kunst des Zuhörens, über Lautstärke und über die persönliche Suche nach Stille.
„Ich kann auf der Bühne stehen und ein Konzert spielen und höre extrem aufmerksam auf mein Inneres – und das, obwohl es laut ist“,
sagt Maffay, der seit vier Jahrzehnten in einer eher lärmigen und schrillen Branche erfolgreich ist. Die äußere Lautstärke verhindere diesen „inneren“ Prozess aber nicht, berichtet der 61-jährige von der Bühnen-Front. Das In-sich-Hinein-Hören sei ja eigentlich „auch ein Korrektiv“, je nachdem, aus welchem Grund man es mache. Auch ein Schutz? „Es kann zum Schutz werden, zur Selbst-Analyse: Wo bin ich, was passiert gerade, was will ich erreichen?“ Maffay denkt eine Weile nach. Für das Gespräch in einem rundum verglasten Konferenzraum, der Tutzinger Red-Rooster-Studios, hat sich der Musiker eine halbe Stunde Zeit genommen. Kurz vorher war noch eine Team-Besprechung, hinterher wartet schon der Fahrer, um Maffay zum Flughafen zu bringen.
Wie ist das, wenn man auf der Bühne steht und alles physisch an einen heran brandet? Hat man in diesem Moment das Bedürfnis, sich abzugrenzen, um nicht überrollt zu werden und sich konzentrieren zu können? „Bei mir ist das nicht so,“ sagt der Musiker und setzt ein Lächeln auf, „vor allem nicht, wenn unten hübsche Mädels vor der Bühne stehen.“ Wenn er in sich hinein höre, dann „um zu wissen, wie ich am besten nach draußen gehe“. Er sei ja immer „im positiven Sinne auf Konfrontationskurs“, er freue sich auf sein Publikum: „Ich weiß, dass das Publikum uns gut tut, wenn wir funktionieren.“ Ein Geschenk, ein unglaubliches Privileg sei es, vor Leuten auftreten zu dürfen. Dies sei „der Grund, warum man das alles macht“. Deshalb wolle er sich auch nicht „verstecken“. Der richtige Weg sei es vielmehr, „raus zu gehen, eine breite Brust zu machen, besonders wenn man nur 1,68 Meter groß ist.“ 1982, damals als Vorgruppe beim Rolling-Stones-Konzert im Münchner Olympia-Stadion, da habe man sich versteckt, gibt Maffay zu, „hinter Inkompetenz und fehlender Erfahrung im Umgang mit dieser Dimension“: Man habe sich einfach überschätzt damals. Es sei doch im Grunde wie beim Boxen: „Da geht man doch auch nicht raus, um sich verprügeln zu lassen.“ Wenn aber die Börse stimmt?
„Kein gutes Argument, um sich die Fresse polieren zu lassen“, sagt Maffay.
„Stille spürt man am Morgen nach dem ersten nächtlichen Schnee oder wenn man unter einen tausend Jahre alten Olivenbaum geht – Stille zu hören ist eine Kunst.“
Peter Maffay – Ehrliche, reflektierte Worte eines Profis. Man ist nicht jeden Tag gleich gut in Form und muss trotz-dem raus an die Rampe, weil der Konzert-Termin ansteht, auch mit einer aufziehenden Grippe und Fieber: „Dann erst recht, denn da findet innerhalb von zwei Stunden absolut so etwas wie eine Heilung statt, dank der unglaublichen Energie eines solchen Moments“, sagt der Unverwüstliche,
„da sind schon Leute mit Krückstöcken rauf auf die Bühne – und ohne wieder runter.“
Wenn ein Konzert beginnt, werde es spielerisch, kreativ. Da lockert sich wohl auch so mancher verspannte Rücken. Der Körper, die Physiognomie, sie hat ihre eigene Sprache. Vor allem ein nicht verbaler Dialog mit dem Publikum entstehe da, zwischen den ganzen Textinhalten, inmitten all der Lautstärke, so Maffays Erfahrung. Von diesen Impulsen lebe jeder Musiker. „Die Leute, die ein Ticket bezahlt haben, kommen ja nicht, um irgendwas anderes zu erleben.“ Wenn man aber eigentlich angeschlagen ist, hört man dann noch auf Ärzte in so einer Situation, auf andere Personen und Instanzen? Ja, die gebe es durchaus: Leute aus seiner Umgebung, die mit ihrer Meinung nicht zurück halten und ihn darauf aufmerksam machen, „wenn etwas nicht gut ist, was da gerade läuft.“ Es gebe aber auch den Spiegel durch das Publikum: „Wenn ich in Gesichter sehe, merke ich, ob das jemanden gerade langweilt oder nicht. Wenn du Tabaluga aufführst mit allen Musikern und all den Kostümen und vorne sitzt ein kleiner Mann von zehn oder elf Jahren und bohrt in der Nase, dann weißt du, das irgendwas nicht richtig ist.“ Es gibt keinen ärgeren Tauben als den, der nicht hören will. Aus: „Fliegende Blätter“, satirische Zeitschrift des 19. und 20. Jahrhunderts. Kommt auch mal Rückzug in Frage, Stille, das Gegenteil von ´laut`? „Die ist das Gegengewicht, die rechtzeitige Bremse, bevor man irgendwo dagegen brettert“, sagt der Musiker, der mit seiner Tabaluga-Stiftung und zahlreichen interkulturellen Projekten, seit Jahren einen äußerst dicht gedrängten Termin-Kalender hat. Vor über zwei Jahrzehnten hatte er sich mal so etwas wie eine „Auszeit“ genommen, in Kanada – ein Foto mit langer Mähne und viel Bart zeugt noch davon. Die Stille, sie sei „ein sehr individuelles, subjektives Mittel, diese Kollision zu vermeiden. Stille ist auch für Peter Maffay etwas sehr Persönliches:
„Sie ist ein ganz wichtiger Gegenpol. Bei einem Lied wie ´Ewig´ auf meiner CD ´Laut & Leise` geht der Range manchmal bis hin zu einer Stelle, wo nur noch ein Instrument das Stück spielt. Das ist dann schon fast Stille.“
Allein die Ansage zu diesem Lied, die Argumentation zum Warum dieses Songs und was damit zusammenhängt, erzeuge Stille, „zumindest etwas Stille-Ähnliches“, sagt Maffay und macht eine nachdenkliche Pause, ehe er das Wort „Glaube“ ausspricht: „Eine Instanz, die sich in der Musik immer wieder findet.“ Stille als Reinheit? „Wenn wir alle Farben raus tun, landen wir irgendwann mal bei Weiß – und Weiß ist Stille. Wenn der erste Schnee fällt und man am Morgen danach aufwacht, spürt man diese Stille.
Die ganz andere, die totale, abstrakte Stille, die gibt es nur in einem selbst.“ Äußere Ruhe, die finde er manchmal in bestimmten Situationen in der Natur, oder „wenn ich nachts um drei auf meiner Finca in Spanien vor die Haustür gehe, dann ist es für einen Augenblick physikalisch total still, aber auch dann wird irgendwann in der Ferne ein Auto zu hören sein.“ Ob unsere Welt generell zu laut sei? „Da hängt von einem selbst ab“, sagt Maffay ganz entschieden, „wir werden ja nicht gefragt, ob wir Lautstärke haben wollen oder nicht.“ Er selbst lebe aber wegen dieser größeren Wahrscheinlichkeit von Stille auch nicht der Großstadt, sondern lieber auf dem Lande, ob nun am Starnberger See oder auf Mallorca. Ruhe, nicht Stille, ist für Maffay auf dem Lande einfach eher machbar, auch wenn er in Tutzing fast direkt an der Hauptstraße wohnt: „Ich bin absolut ein Country Boy.“ Und in Spanien? „In der kleinen Bar in unserem Dorf geht es schon laut zu, da wird auch noch mit Händen und Füßen geredet. Wenn ich da dennoch Stille erleben will, setze ich mich in ein kleines Boot und fahre raus aufs Meer.“
Die Liebe ist vor allem ein Lauschen im Schweigen.
Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
In Bezug aufs Älter werden – möchte es da auch ein (Rock-)Musiker ein bisschen ruhiger haben?
Das sei bei ihm wie bei einem Oldtimer: „Polieren ist wichtig.“ Ein Oldtimer, der allzu glatt ist, sei andererseits „wie ein Gesicht, das nicht viel erzählt“. Aus menschlichen Gesichtern kommen für Maffay Geschichten. Die vom Zigarre paffenden 90-jährigen Kubaner etwa. Oder das Portrait vom knautschgesichtigen Keith Richard, dem großen Untoten der Rock-Geschichte, in Maffays Büro: „Da kann man selber noch dran arbeiten.“ Eine Frage der Haltung, der mentalen Kraft, der Quellen, aus denen einer schöpfen könne. „Wenn sich einer auf ein Nagelbrett setzt und der Hintern ist nicht perforiert, dann hat der irgendwann mal ein System gefunden, wie das funktioniert – bestimmt ist das nicht nur seine Haut.“ Also warum leise werden? Der Tutzinger widerspricht der Idee: „Nicht, wenn ich gerade mal noch ein paar Jahre habe, um laut zu sein!“ Und dass die Lauten nun mal eher Gehör finden als die Leisen, sei nun mal „ein physikalisches Gesetz“. Stille zu hören sei eine Kunst.
„Laut passiert umsonst, Stille nicht.“
Doch Besinnung auf die letzte Instanz, auf leisere Töne, auf Stille als Form von Reduktion, die gebe es bei ihm schon, sagt der 61-jährige und zitiert „Knockin´ On Heaven´s Door“ von Guns´n´Roses. Auch ein Lied wie das von Eric Clapton, mit dem er den Tod seines Sohnes in einer Art Dialog zu verarbeiten versuchte: „Das geht wohl nur aus dieser inneren Stille heraus, weil alles andere nicht mehr ausreicht.“ Auch jetzt, beim Gespräch, wird es auf einmal ganz leise, und dann sagt Peter Maffay zum Schluss:
„Ich bin kein Verhaltensforscher, aber nach 40 Jahren auf der Bühne kommt man ein bisschen in die Nähe – ich glaube, den Rock´n´Roll und andere musikalische Formen gibt es nur, weil irgendwann mal vor Jahrtausenden einer beim Beten damit angefangen hat zu singen.“
Thomas Lochte