Jeff Wall Porträt und Werkbeschreibung – Knowing Art
Ich erinnere mich noch gut, als ich im Jahr 2007 im MoMa zum ersten Mal mit Arbeiten von Jeff Wall in Kontakt kam. Das MoMa hatte dem kanadischen Fotokünstler (geb. 1946 in Vancouver) eine Ausstellung gewidmet. Großformatige Fotografien, die von sperrigen Leuchtkästen illuminiert wurden. Die damals noch vertrauten, charakteristischen Farbnuancen der vordigitalen Fotografie wirkten noch nicht so fern wie heute.
Die Fotografien funktionierten auf Anhieb wie eine Packung Prodepressiva – und trotzdem hatten sie eine magische Kraft, den Betrachter in ihren Bann zu ziehen.
Nun also ist Jeff Wall in der Sammlung für Moderne Kunst der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
Eifrige Museumsbesucher kennen wahrscheinlich das 1992 angekaufte Werk „An Eviction“.
In vielerlei Hinsicht könnte man Jeff Wall als einen Vorreiter betrachten. Als einer der Ersten, die bereits in den 70er-Jahren ihre Fotografien durch Leuchtkästen illuminierten, stellte er einen direkten Bezug zu damals gängigen Werbemethoden her. Während diese – sich wenig unterscheidend von heutigen Botschaften – die Erfüllung des privaten und individuellen Glücks propagierten, bezog sich Walls Werk stets auf die Entfremdung. Themen wie die Vereinsamung des Individuums durch Globalisierung und Urbanisierung hatten schon beinahe prophetischen Charakter. Andere Themen wie soziale Gewalt, Verrohung und Brutalität scheinen nach einer Phase des bürgerlichen Wohlstandes wieder an Aktualität zu gewinnen. So manche Szenerie aus den 70er-Jahren ließe sich ohne größeren Aufwand in vielen amerikanischen Vorstädten auf der Stelle nachinszenieren. Ihren dokumentarischen Charakter bekommen die Fotografien allerdings erst durch die zeitliche Distanz, mit der wir heute auf die ein oder andere durchaus befremdliche Szenerie zurückblicken. Für Jeff Wall stand stets der Mensch, das Individuum im Mittelpunkt seines Interesses. Vielleicht trifft es nicht ganz den Kern der Sache, wenn ich versucht bin, einen Bezug zur Romantik herzustellen. Andererseits liegt die Auseinandersetzung Jeff Walls mit der Kunstgeschichte auf der Hand: Die auch hier abgebildete Fotografie „The Thinker“ stellt einen direkten Bezug zur gleichnamigen Skulptur von Auguste Rodin her. Auch in anderen Werken finden sich Anlehnungen an Künstler anderer Epochen, wie Manet oder Delacroix. Eingangs des Artikels habe ich Jeff Wall als Vorreiter beschrieben. Tatsächlich arbeitete er schon damals mit digitaler Retusche. Manche Arbeiten bestehen aus einzelnen Fotografien, die meisterhaft und beinahe unsichtbar zu einer einzigen zusammengesetzt wurden. Er sieht sich bei dieser Herangehensweise in der Tradition eines John Heartfield, der durch seine Montagetechniken bekannt wurde (und dessen Arbeit „Adolf der Übermensch – schluckt Gold und redet Blech“, die ich auf der Großen Kunstausstellung in Berlin im Jahr 2000 sah, sich in mein Gedächtnis derart einbrannte, dass ich sie hier, ohne zu recherchieren, zum Besten geben kann – das sei nur am Rande erwähnt).
Viele seiner Arbeiten sind zudem minutiös geplant und die Kompositionen konstruiert. So sind viele der menschlichen Protagonisten seiner Abbildungen keine zufälligen Besucher des Sujets, wie es vielleicht den Anschein haben mag. Vielmehr arrangiert er die Personen wie in Abbildungen historischer Gemälde.
Und was hat das alles mit uns zu tun? – Ich habe keine Antwort darauf. Als im Bürgertum sozialisierter Mitteleuropäer bleibt mir die Arbeit ein großes Stück weit fremd. Es ist wie ein Blick in eine andere Realität. Eine Wirklichkeit, die nicht die meinige ist. Beinahe eine Warnung, ein sozialer Apell oder die schlichte Erkenntnis: Der Mensch ist alleine, alleine, alleine. Auf eine spürbar ungesunde Art mag ich die Fotografien trotzdem.
∗Tobias Vetter