Warum High Tech Gesellschaft und Fundamentalismus auch zusammen gehören
Mit der Industrialisierung 4.0 erleben wir einen Gesellschaftswandel von unglaublicher Geschwindigkeit. Während wir einerseits an einer hochtechnisierten und digitalen Zukunft arbeiten, stehen wir andererseits vor gewaltigen, gesellschaftlichen Herausforderungen. Es ist faszinierend und grotesk zugleich, welchen Raum dabei altertümliche Religions- und Menschenbilder einnehmen. Dabei diskutiert eine aufgeklärte, liberale und demokratische Gesellschaft, deren geistiges Fundament Ausdruck in einer deutschen und europäischen Verfassung gefunden hat, ernsthaft über die Rolle und den Umgang mit Glaubensgemeinschaften.
Eine Diskussion, die in der momentan geführten Form völlig unsinnig und unnötig ist. Unsinnig, da inhaltlich kein Konsens gefunden werden kann und unnötig, da unsere Verfassung, das Zivil- und Strafrecht, bereits in aller Konsequenz, das gesellschaftliche Miteinander regeln.
Warum sollte aber kein Konsens zu finden sein? Die beiden größten religiösen Glaubensgruppen Europas sind der Islam, basierend auf den Koran, und das Christentum, basierend auf das Alte und Neue Testament – zusammenfassend „Bibel“ genannt. Es handelt sich jeweils also um eine Gruppe von Menschen, die eine Vereinigung bilden, welche sich auf ein einzelnes Buch und eine daran anknüpfende Tradition beziehen. Beide Werke wimmeln geradezu von verfassungsfeindlichen Textstellen. Da wird zu Mord und Totschlag aufgerufen, Frauen unterdrückt, Homophobie verbreitet etc. pp. Keine sich neu gründende Vereinigung, würde in unserem heutigen Europa mit solch einer Verfassung Legitimation erfahren.
Traditionell ist das Christentum für Europa eine homogene Gruppierung, die sich im Wesentlichen in eine katholische, protestantische und orthodoxe Gruppe teilt und sich den europäischen Wertevorstellungen angepasst hat.
Wenn auch in atemberaubender Langsamkeit und auch weit davon entfernt, die Grundlage dieser Glaubensgemeinschaft – die Bibel – zu revidieren. Der Islam zeigt sich weniger homogen und differenziert sich in einem breiteren Spektrum, von gemäßigt bis radikal und zumindest aus westlicher Sicht, scheinen die Grenzen zwischen gemäßigt und radikal, nicht immer transparent zu sein. Was allen Vertretern dieser Glaubensgemeinschaften gemein ist, ist die chamäleonartige Fähigkeit, zwischen konkreten Wahrheiten und Symbolismus zu mäandern.
Wenn da also geschrieben steht: „du sollst die Ungläubigen töten“ – ist das für mich ein Aufruf zum Massenmord und für andere eine Metapher.
So könnte man beliebig fortfahren und Zeile für Zeile mit verschiedensten Vertretern diskutieren. Das hat jedoch schlicht und ergreifend keine Relevanz, da der nächste Vertreter von der nächsten Gemeinde die Stelle wieder anders interpretieren wird. Es ist also kein Konsens zu erwarten. Erwarten würde ich aber von einer europäischen Wertegemeinschaft, dass Schriften, die gegen die Verfassung verstoßen, in aller Konsequenz behandelt werden. Letztendlich müßte das wiederum bedeuten, dass die großen Religionsgemeinschaften Ihre Manifeste (Bibel und Koran) revidieren müßten. Das klingt vielleicht wie eine Utopie, aber wir schreiben das Jahr 2016 und es wäre die Möglichkeit, innerhalb einer europäischen Kultur, Glaubensgemeinschaften als Teil unserer Gesellschaft zu integrieren und akzeptieren.
Zu Beginn schreibe ich, dass es nicht nur unsinnig, sondern auch unnötig ist über Glaubensgemeinschaften – allen voran den Islam – zu diskutieren.
Es ist deshalb unnötig, da es sich bei den derzeitigen Bedrohungsszenarien nicht wirklich um theologische Fragen handelt, sondern vielmehr um psychologisch, soziologische. Daraus resultierend sollten wir 2 Bereiche behandeln. Zunächst sollte uns die Frage bewegen, was Menschen dazu bewegt, sich zu radikalisieren und für eine vermeintliche Idee zu sterben bzw. zu töten. Der andere Bereich ist mit unserer Verfassung und dem Zivil- und Strafrecht eigentlich bereits geklärt: nämlich die rigorose Strafverfolgung von Straftaten – und dazu gehört der Aufruf zu Straftaten, zu Mord und Totschlag und die Bildung von kriminellen Vereinigungen.
Wir sollten alle uns zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel dazu nutzen, unsere Rechtsstaatlichkeit in aller Konsequenz durchzusetzen – und das zum Wohle aller.
Die psychologisch und soziologische Ausgangssituation des Einzelnen bilden den Nährboden für Extremismus. In der islamischen Wertvorstellung wird dem männlichen Nachkommen – insbesondere dem Erstgeboren – eine soziale Vormachtrolle zuteil, allein aufgrund seiner sexuellen Spezifikation.
Dieses Selbstbild, was junge Männer von klein auf verinnerlichen, erfährt in unserer westlichen Welt keinerlei Anerkennung. Islamische Männer erfahren in unserer Kultur eine Summe an Erniedrigungen, Nichtwertschätzungen und Respektlosigkeiten, was zu einer unterdrückten Wut und Frustration führt.
Im Gegensatz dazu leben wir in einer leistungsbezogen Welt. Menschen unseres Kulturkreises erfahren Wertschätzung, Anerkennung und Bestätigung über Ihre berufliche Position, Leistungsfähigkeit und Einkommen.
Was beiden Kulturkreisen fehlt, ist eine gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung für Empathie, Ausgeglichenheit, innere Stabilität, moderate Konfliktlösung, nachhaltiges Miteinander und gleichberechtigtes Verhalten. Wer in unserer Gesellschaft nicht zu den Leistungsträgern zählt, reagiert eher mit autoaggressivem Verhalten, gesellschaftlichem Rückzug, oder Depression.
Der Grund für den Erfolg des radikalen Islam liegt darin begründet, dass er dem Einzelnen gesellschaftlichen Outsider, eine simple und klare Lösung bietet. Er erkennt sozusagen den Einzelnen in seiner Ohnmacht, seines Nicht gesehen- und gewertschätzt werden, seiner inneren Wut und Ohnmacht. Er erhebt den Einzelnen über die ungläubige Gesellschaft und macht Ihn zum Richter über diejenigen, denen die „Schuld“, an dem Eigenen Minderwertigkeitskomplex zugeschrieben wird. Die Zugehörigkeit zu einer radikalen Gruppierung führt zu einem unbeschreiblichen Lustgewinn und einer nichtgekannten Lebendigkeit. Diese innere Euphorie relativiert sogar die Angst vor dem eigenen Tod.
Der heikelste Schritt bei dieser Entwicklung ist – ähnlich wie bei kriminellen Organisationen auch – die erste Kontaktaufnahme.
Sobald die Grenze zur Illegalität einmal überschritten ist, gibt es auf der Gewaltspirale praktisch kein zurück mehr.
Industrialisierung 4.0 und altertümliche, islamistische Vorstellungen sind also kein wirklicher Widerspruch. Das eine erwächst aus dem Anderen. Wenn wir es als Gesellschaft nicht schleunigst schaffen, eine humane, liberale und aufgeklärte Wertevorstellung zu installieren, werden wir einen rasanten Anstieg islamistischer Terroristen, auch aus den „eigenen Reihen“, erleben. Jeder der im Zuge von Digitalisierung, Ökonomisierung und Industrialisierung 4.0 seinen Job, oder seine Perspektive verliert, wird in eine persönliche und existenzielle Krise geraten.
Aktuell beobachte ich, dass den hier lebenden Menschen mit islamisch kulturellen Hintergrund mit Mißtrauen und Abwertung begegnet wird. Gleichzeitig erziehen wir unsere eigenen Kinder zu Leistungsträgern. Ich kann in unserem aktuellen Bildungssystem keine Sparte erkennen, die sich darum bemüht, glückliche, reflektierte, ausgeglichene, aufgeklärte und besonnen handelnde Menschen zu formen. Wir sollten also endlich Religionen überwinden und durch allgemeingültige Werte ersetzen. Eine Gesellschaft, die den einzelnen Menschen als Menschen anerkennt und wertschätzt, wird nämlich auch in der Lage sein, die passenden Antworten auf die gesellschaftliche Verantwortung, im Umgang mit einer Industrialisierung 4.0 zu geben.
χ Tobias Vetter
„Terroristen haben kein Gewissen, da sie meinen, das Gewissen zu sein.“
Friedrich Hacker Psychiater, Psychoanalytiker und Aggressionsforscher