Esel. Genuss. Wandern. Burgund.
Etwas besseres als den Tod finden wir überall
Eine Reisereportage von Robert Lübenoff und seiner Tochter Laura
München – Melay, Burgund
Seltsames Gepäck für eine Flugreise in der Business-Klasse: Rucksack, Gürtel-Tasche, Sporttasche, Wanderschuhe.MUC-Lyon – auf dem Weg zur Genuss-Esel-Wanderung ins Brionnais im Süd-Burgund.
Fritz ist schuld! Der alte Esel, der zusammen mit dem Pony-Mädchen Wilhelmine im Garten des Potsdamer Inselhotels eine Art 2-Tier-Zoo für Kinder bildete, hat mein Herz für Esel erobert. Vor 10 Jahren. Als alle Zaungäste winkten, pfiffen und riefen, kam Fritz zu dem Mann, der ihn stumm und lächelnd anschaute: ich. Seitdem fühle ich mich zu Eseln hingezogen.
„Du Esel!“ In der Regel ist das nicht als Kompliment gemeint. Dabei sind Esel viel besser als ihr Ruf, meint Jutta Person, die Autorin meiner Fluglektüre: liebenswerte, zurückhaltende Tiere mit sehr viel Charakter, an denen wir uns mitunter ein Beispiel nehmen sollten. Der etwas einfältige, kleine Bruder des Pferdes – so wird der Esel oft gesehen. Damit wird man der Vielschichtigkeit dieses wunderbaren Tieres aber nicht gerecht, dem in der Kulturgeschichte ganz unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben wurden.
In der Antike etwa galten Esel als „potente und sehr erotische Tiere“, schreibt Jutta Person in „Esel. Ein Porträt“: „Es gibt zum Beispiel von Apuleius die Geschichte des goldenen Esels, der eben wirklich ein erotisch hyperaktives Tier ist.“Auch im Märchen spielt der Esel eine Rolle. Zum Beispiel in den „Bremer Stadtmusikanten“, wo er gewissermaßen zur Symbolfigur der Migration schlechthin wird. Da sagt ja eben der Esel diesen unglaublich modernen Satz: ‚Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.‘Und dann ziehen alle los, und der Esel ist sozusagen derjenige, der den Schritt in ein neues Leben wagt. Esel statt Freud.
Wenn der Esel gleichwohl immer noch einen schlechten Ruf hat, liegt das an dessen nicht nur sprichwörtlichem Starrsinn. Dieses Verhalten hat einen evolutionären Grund. Die afrikanischen Wildesel, die sozusagen die Urväter aller Esel sind, leben in nordostafrikanischen, steinigen, gerölligen Wüstenregionen und sind eben keine Fluchttiere, sondern bleiben stehen, weil sie sich sonst einfach die Haxen brechen würden.Wenn man also vom Esel etwas lernen kann, dann in jedem Fall das Nein-Sagen.
Melay – Iguerande
Melay ist eine französische Gemeinde mit 982 Einwohnern im Département Saône-et-Loire in der Region Bourgogne-Franche-Comté. Der Esel-Hof „Bougres d`Anes“ der Familie Crola. Zur Begrüßung von Sandy (Bauer, Koch) und Céline (Chemikerin, Physikerin – jetzt aber Esel-Züchterin) gibt`s ein Fläschchen „La Pisse de l`ane“. Esel-Pisse, das selbstgebraute Bier. Naturtrüb, aber Hauptsache kalt. Ein Stück L‘Ami du Chambertin und frisch gebackenes Baguette machen den Empfang komplett.
„Bohswoahr“ – da steht er, unser Ugo. 13 Jahre, frisch verliebt in Juliet, die schwarze, schüchterne Esel-Dame an seiner Seite – und so ganz und gar nicht interessiert mit den blöden Touris de l`allemagne, die jetzt Auf- und Ab-satteln, Striegeln, Hufreinigen, und Befehle trainieren.
Sandy tischt auf. Céline thront als Gastgeberin am Tischkopf. Gratin Dauphinois, aus geschnittenen Kartoffeln, in Milch und Sahne gebacken, dazu gebratene Kalbsbrust, Salat, später Fromage und Gâteaux aux Apricots {Aprikosentarte}. Le dîner sollte sich nun jeden der nächsten vier Abende kulinarisch so wiederholen. Wunderbar. Das war der Part: Genuss-Wandern. Immer vier Gänge, immer was anderes, immer von den Gastgebern persönlich zubereitet. Aber zuvor die wunderbarsten Aperitif-Variationen aus eigener Herstellung: Prunellier (Schlehenlikör) mit Zimt, Nelken, Vanillezucker, Rum, Weinbrand – und natürlich Schlehen.
Am nächsten Morgen, die Stunde der Wahrheit. Gut gestriegelt und gesattelt, gebürstet und getränkt, gefüttert und fast wundgestreichelt, jeweils mit zwei Plastik-Satteltaschen á 15 Kilo beladen und eine Art Gesichtsschleier zur Fliegenabwehr vor den Augen.
„Aleee Üügo, aleee. Turneh agohsch, kontinueh tuhdrwoa“ – losgeht`s, links, geradeaus: Ugo ignorierte unsere Befehle und ging seinen Weg. Doch langsam kamen wir in den Rhythmus.Plötzlich ist sie da, diese Milde, diese Achtsamkeit. Entlang an einem kleinen Kanal, durch die grüne Ruhe, einer Explosion von Gerüchen, führt jeder Schritt kilometerweit weg vom Lärm des Business. Nach einer Stunde fühlt man sich seit Wochen unterwegs. Diese sattgrüne und hügelige Weide- und Heckenlandschaft, grasende weiße Charolais-Rinder, dazwischen kleine Dörfer mit traumhaft schönen romanischen Kirchen. Le Paradis {est} ici!
Das Pays Charolais-Brionnais ist ein tausendjähriger Garten – gespickt mit Kirchtürmen – inmitten einer herrlichen, gut bewahrten Landschaft und geprägt von der Hand des Menschen!
Das Land zeichnet sich durch ein geradezu einmalig dichtes Netz von romanischen Kirchen und Kapellen aus. Mehr als hundert, alle ebenso beeindruckend wie liebenswert, zeugen noch heute vom tiefen Glauben und der überquellenden Schaffensfreude der Baumeister im Mittelalter. Zurecht ist das Brionnais UNESCO Weltkultur-Erbe. Die letzten Tropfen in der Wasserflasche kochen. 32 Grad im Schatten. 6 Stunden für 10 Kilometer. Die Schönheit der Landschaft hat ihre Kraft verloren.
Die Loire hat`s gut, liegt gemütlich in ihrem feuchten Bett. Schweren Schrittes über ein altes, römisches Viadukt. „Bar ouvert“. Das Lion d`Or, der „Goldene Löwe“, eine alte Kaschemme am Rand von Iguerande. Da es Bier to go nicht gibt, darf Ugo mit in den kleinen Vorhof.
La Bergie – der Schafshof von Michele und Francoise. Ugo glücklich auf der Weide. Schafe, Enten, Hühner um uns herum. Und Lola, die spielwütige Hündin. Eingelegte Sardinen, Salami, Oliven, die beste Grillbratwurst, Kalbssteak, Lamm, Blumenkohlsalat und natürlich DIE Pommes Frites – selbstredend Fromage und Tarte zum Abschluss. Ugo schaut zufrieden von der Weide zu.
Iguerande – Saint Julien de Jonzy
Ein herzzerreißendes Iaaaaahhh am Morgen zur Begrüßung. „Boschuhr, Ügo“ – da will einer weiter. Eine Stunde später steht der Bock wieder! Ügo kackt. Wir lernen. Esel bleiben nicht einfach stehen. Es gibt immer einen driftigen Grund. Fressen, Kacken, die Deutschen verarschen (Iaah). Oder: Gefahr. Oder: Falscher Weg. Oder: Ihr braucht mal ne Pause, schaut euch doch die schöne Landschaft an. „Treehbiaen, Ügo“.
Madame Aubard erwartet uns schon.
Saint Julien de Jonzy – Saint-Christophe-en-Brionnais
Ugo, der alte Herzensbrecher, verdreht einer wunderschönen, jungen Eselin den Kopf. Eine endlose Weide. Ein Holzgatter. Zwei knutschende Esel. „Und was bitte ist mit Juliet zu Hause, Ügo!?“ Er schüttelt die großen dunklen Ohren, zieht mürrisch weiter. Das kleine Esel-Bunny schreit ihm seine Sehnsucht hinterher.
Die schriftliche Wegbeschreibung sagt so, der markierte Weg auf der Karte so, und Ugo bleibt stehen, guckt und entscheidet sich für den Weg links. Gourmet-Wandern mit Esel heißt für den Esel: Alles aus dem Garden Eden frisch ins Maul. Alles Grüne, Weiße und Bunte in Schnauzenweite wird vertilgt. Am willigsten trappt Ugo über die saftigen grünen Naturpfade. Rechts und links schmackhafte Abwechslung, am Boden die Grundnahrung: Gras und Klee. „Bon appetit, mon cher Ügo“, wie haben ja alle Zeit der Welt.
Was für ein Schauspiel. Erst Millionen von Fliegen in Fußhöhe, dann tausende von fliegenden Heuschrecken um die Beine und dann hunderte von farbenprächtigen Schmetterlingen um den Körper. Und das auf einer Wegstrecke von einem Kilometer. Lebendige Natur in atemraubender Vielfalt. Und überall die weißen Charolais-Rinder. Die Heckenlandschaft des Brionnais ist die Landschaft in Frankreich, die fast keine Umweltschäden aufweist. In den Hecken können Kleintiere aufwachsen und es gibt eine große Vielfalt an Vögeln. Picknick am „Teppich des Orients“, ein Aussichtsstein (mit der einzigen Sitzbank in vier Tagen) thronend über dem Brionnais. Ugo hat uns gegen alle Kartenempfehlungen dahin geführt. Ugo trinkt mir aus der Hand. Wir teilen die kleine, errötete Mirabelle. Er kriegt ein Stück von meinem Sandwich, den besten Teil. Wir beschließen, in München zusammenzuziehen. „Mon cher âne“.
Wissen sie was ein Roulotte ist?
Ein Roulotte ist ein Zigeuner- oder Zirkuswagen, ein hölzerner Schindel- Wohnwagen. Aufgrund seiner Dimension und massiven Bauweise erfolgt der Transport mit Lastkraftwagen, Zugmaschinen oder Traktoren, früher auch mit Zugtieren. Ugo zuckt. Nein, mein Freund, den musst du nicht ziehen, das ist unser Schlafgemach für die Nacht. Allez, ab auf die Feierabend-Weide (jede Location auf der Eselwanderung hielt für Ugo eine große Weide, Wasser, Futter und Stell-Schlaf-Möglichkeiten bereit).
In St. Christophe-en-Brionnais liegt die Wiege der Charolais-Rinder. Hier gibt es jeden Mittwoch seit 1488 den Rindermarkt. Das Örtchen hat 530 Einwohner. Jeden Mittwoch werden hier 1.000 Rinder an die Schlachthöfe verkauft und 500 für die Zucht. Der zweitgrößte Rindermarkt Frankreichs.Das Geschrei der Tiere ist ohrenbetäubend. Die Lust auf ein Entrecôte, die mich seit Tagen umtreibt, medium bis rare, erstickt in meinen Ohren. Überall diese Männer, in schwarzen Ärztekitteln, grünen Gummistiefeln und einen großen Holzstock in der Hand.
Käufer, Händler, Schlächter.
Ich schleiche mich über verbotene Wege und Hintertüren ins Allerheiligste des Fleischmarkts. Eine kleine Arena, wie ein Hörsaal. 50 Bestimmer über Leben und Tod. LED-Screens zeigen Gewicht und Größe des Opfers an. Ein junger Auktionär im Glaskäfig wiederholt die elektronischen Gebote mit einer Schnellfeuer-Sprache. Es gibt keinen finalen Hammer, nur einen furchtbaren Signal-Ton. Ab, ins Schlachthaus, deine Zeit auf den weiten grünen Weiden des Brionnais ist vorbei.
Die Franzosen frühstücken süß. An diesem Morgen ist mir das irgendwie ganz Recht. Croissants und Baguette, verschiedene Marmelade-Sorten (Lavendel ist der Hit), Obst und Café au lait. Bloß keine Wurst!
Saint-Christophe-en-Brionnais – Anzy le duc
Ugo wollte weg vom Schlachtfeld, weg von den schreienden Viechern. Eine Stunde lang war er zahm wie ein Lamm. Dankbar, dass er kein weißes Charolais-Rind war.
Wieder so ein wunderbarer Tag. Ugo ist gut drauf, tollt den Weg bergab, schubst mich immer gegen den Rucksack. Wir überqueren eine kleine Furt, dann geht`s wieder steil bergauf. Ugo wird angesichts der Anstrengung unlustig. Pause, Picknick, Pfirsich. Der große Zwetschgenbaum spendet gütigen Schatten. Der Wind sendet ein warmes, schmeichelndes Lüftchen. Es gibt Momente im Leben, die willst du festhalten für die Ewigkeit.
„Ich glaube, wir haben uns verlaufen.“ Wir waren meilenweit von der geplanten Route. Merde!
Vier Tage, die für mich zu den wunderschönsten meines Lebens zählen. Ugo war längst schon mit seinen Gedanken bei Juliet, als wir ihn zum Abschied umarmten, herzten und küssten. Ein wildes und freudiges Iaaah, als er wieder mit Juliet vereint ist auf der Heimat-Koppel.
Robert Lübenoff
Der ehemalige Journalist, Buch-Autor und -Herausgeber arbeitete als Sport-Journalist beim Münchner Merkur und der Münchner Abendzeitung. Ab 1986 war er als Tennis-Experte für über 30 Publikationen weltweit tätig. 1988 wurde Lübenoff vom Tennis-Weltverband als „Media Person of the year“ nominiert.
Er entwickelte 1989 den Compaq Grand Slam Cup, das am höchsten dotierte Tennis-Turnier der Welt. Neben dem Aufbau der Kommunikations-Agentur lübMEDIA, arbeitete Lübenoff von 1999 bis 2005 als Berater von Boris Becker. Seit 1999 ist er zudem Senior Consultant der Anschutz Entertainment Group, machte sich einen Namen als Event- und Marketing-Manager in der Entertainment-Industrie und ist Gründer der planero GmbH.
Robert Lübenoff konzipierte, entwickelte u. a. auch die Charity-Plattformen fit-4-future und United Kids Foundations, berät den RTL „Wir helfen Kindern e.V.“, die Cleven- und Volksbank-Stiftung und hat bis 2014 die Medien-Arbeit für Laureus verantwortet und den Laureus Medienpreis konzipiert und realisiert. Schwerpunkte der aktuellen Arbeit von Lübenoff und lübMEDIA sind die neuen lübMEDIA-
Plattformen „Quality Life Forum“, Golf- und Business-Summits und der fit4future-Kongress.