Die ganzen Möglichkeiten glücklich zu sein, konzentrieren sich in unserem Leben ja auf die wenigen Ferienwochen, die wir zur Verfügung haben.
Michel Houellebecq
Es gibt Reiseziele, die immer wieder durch sämtliche Entscheidungsraster fallen. Die südliche Burgundregion ist so eines. Keine direkten Flüge, weder auf dem Weg nach Paris, in die Bretagne oder Normandie würde man die Region mit dem Auto streifen und selbst Reisende an die Cote d´Azur nehmen entweder die Route über den Brenner, oder umfahren die Region knapp, durch das südlich gelegene Lyon. Dabei ist das Burgund problemlos in einer etwa 7 stündigen Fahrt zu erreichen. Für solche, die gemütlicher unterwegs sind, empfehlen wir einen Zwischenstopp der besonderen Art:
Wer hat nicht schon davon geträumt, Gast in einem Märchenschloss zu sein?
Und mit Gast meine ich tatsächlich Gast und nicht Hotelbesucher. Das Chateau Villersexel liegt etwas nördlich von Besancon und gehört streng genommen noch gar nicht zum Burgund. Seit über 1000 Jahren in traditionsreichem Familienbesitz, wohnt heute der Baron von Luternau darin und empfängt persönlich seine Gäste. Kein Butler, keine Gepäckträger, keine Köche, kein Personal. Einzig eine Reinigungskraft für die Zimmer. Nur 5 Zimmer des riesigen Schlosses werden quasi als Gästezimmer vermietet. Authentisch ausgestattet mit Himmelbetten und antiken Möbel. Sämtliche restlichen Zimmer sind – man möchte beinahe sagen vollgestopft – mit originalen Kuriositäten bestückt. Das reicht von einem der ersten Steinway Flügel – der Hausherr sammelt u.a. antike Flügel – über eine beeindruckende Bibliothek mit über 25000 antiken Büchern, bis zu den noch erhaltenen Wandteppichen aus dem 19. Jh.. Das Schloss wurde zweimal zerstört und immer wieder aufgebaut. Zunächst um 1000, dann im deutsch – französischen Krieg. Hier existieren sogar noch schwarz – weiß Fotografien, die das Ausmaß der Zerstörung zeigen. Immerhin so renommierte Architekten wie Eiffel und Garnier waren am Wiederaufbau beteiligt. Noch heute sieht man die Stahlträger durch die Decke des Erdgeschosses schimmern. Damals eine Sensation, haben die Haupträumlichkeiten doch keine tragenden Wände, sondern bestehen nur aus riesigen Fenstern, Türen und Kaminen.
Wir übernachten in einer Suite im Nordost- Turm in absoluter Ruhe. Das Schloss ist von einem riesigen Park umgeben. Geräusche entstehen höchstens durch knarzende Türen und die morbiden sanitären Anlagen, von denen wir die Wasserbehälter aus vergangenen Jahrhunderten im Keller bewundern. Das lassen wir eindeutig als Charme durchgehen, vor allem, weil das morgendliche Frühstück quasi im Wohnzimmer des Barons – persönlich von ihm serviert – zu sich genommen wird. Der abgegriffene Werbespruch „…der etwas andere Service“ ist hier wörtlich zu nehmen. Anschließend gibt es eine komplette Schlossführung – wir waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen Gäste – mit unzähligen Anekdoten und Einblick in das zeitgenössische Daseins eines Barons. Teilweise losgelöst von jeglicher Romantik. Durch die enormen Instandhaltungskosten wird auch hier mit dem Gedanken des Verkaufs, der Vermietung oder zumindest der Einbeziehung eines Partners gespielt. Kurzum, der ideale Start in den idyllischen Kurzurlaub. Übrigens findet man selbst in diesem kleinen Villersexel ein ausgezeichnetes Restaurant. Von außen würde man, vor allem als deutscher Betrachter, eine Pizzeria oder aufgetaute Tütensuppen erwarten, tatsächlich speist man im La Terrasse (der Baron übernimmt gerne die Reservierung) ein hervorragendes Gängemenü und sämtliche Bewohner des kleinen Dörfchens, scheinen sich dort abends einzufinden. Eine wunderbare kulinarische Einstimmung für wirklich bescheidene 30 € pro Person.
Der Weg nach Südwesten führt zwangsweise durch Besancon und der Abstecher in die historische Festungsanlage der Stadt, die heute eine etwas kuriose Mischung aus Zoo, Museum und Burgabenteuer ist, lohnt sich allemal.
Südlich von Dijon fängt sich die Landschaft zu ändern an. Die Felder, die in Deutschland korrekt durchstrukturiert und nach Nutzungsrechten getrennt wären, werden durch wunderbaren Baumbewuchs aufgelockert. Alles wird ursprünglicher und wilder, erst die ersten Weinberge verschaffen dem deutschen Reisenden wieder die gewohnte Ordnung.
Wenn der Süden Frankreichs irgendwo beginnen muss, dann ist das wohl hier, in dieser hügeligen Landschaft.
Manche nennen es die französische Toskana, aber das wäre wohl Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Zu Hotels umgebaute, alte Herrenhäuser und Weingüter gibt es hier zur Genüge. Nach langer Recherche entscheiden wir uns für das Chateau Igé. Das im 13. Jahrhundert erbaute Feudalschloss, eingebettet in einen herrlichen Garten, besticht nicht nur durch die unterschiedlichsten Zimmer und Suiten, sondern auch durch die raffinierte Küche, des Chefkochs Olivier Pons.
Etwas ausgelagert von dem eigentlichen Hauptgebäude liegt, am anderen Ende des Gartens, ein zur Suite ausgebauter Schlossturm, in dem wir übernachten. Ursprünglich war hier die Hauskapelle, so dass der Innenraum mit seinem gotischen Gewölbe tatsächlich sakral aufwartet.
Francoise Faucon, die reizende Eigentümerin des Chateau, begrüßt Ihre Gäste persönlich und kümmert sich rührend um sämtliche Belange u.a. in fließend deutscher Sprache. Ihr Engagement scheint das gesamte Team zu inspirieren. Man spürt den deutlichen Unterschied zu Häusern, die eben nicht Familien geführt sind. Entsprechend Beeindruckendes erwartet uns zu einem der Abendessen. Im Menu regional „Bresse Bourgogne“ genießen wir, neben den obligatorischen Froschschenkeln und Schnecken in Kräuter – Knoblauchsauce, ein perfektes Filet (Le filet de boeuf charolais en tournedos,bérnaise à ma facon, champignons du marché, pommes mousseline), überraschende Zwischengerichte und eine, ebenfalls für die Region typische Käseauswahl zum Nachtisch. Neben den regionalen Klassikern gibt es aber auch kreative Abwandlungen:
Ravioli gefüllt mit Hummer
(Les ravioles de homard „Nouvelle Ecosse“, jus de carapace en minestrone aux épices douces) oder Schnecken (Les ravioles d´escargots „la mére Maury“, bouillon crémeux á l`ail des ours du jardin, fricassée de champignons du marché) – ein Gedicht. Für meine Begriffe, echte Sterneküche, – bereits ausgezeichnet durch „Orus“ und „Bonne Table“ von Alain Ducasse, sowie 3 roten Türmen im Michelin Führer. Einige der Zutaten bezieht Pons übrigens aus dem hauseigenen Gemüse und Kräutergarten. Mit etwas Glück darf man in einem besonderen Raum sein Abendessen zu zweit genießen: In einem der runden Türme ist gerade genug Platz, für einen Tisch mit zwei Personen. Ein Fest an Romantik und Sinnlichkeit.
Die Region ist bekannt für gute Weine und Essen auf höchstem Niveau. Über die Verpflegung braucht man sich also keine Gedanken zu machen und die ausladenden Abendessen speichern genug Reserven, um die Tage mit kulturellen Sehenswürdigkeiten zu verbringen. Dank der langen Geschichte Frankreichs, sind hier einige der schönsten romanischen und gotischen Kirchen zu besichtigen. Als eines von vielen Beispielen sei die Abbaye de Cluny erwähnt. Im Jahre 910 von Wilhelm dem Frommen gegründet, erlebte sie um 1200 ihre Blütezeit. Als Mutterhaus von mehr als 1000 Klöstern, war Cluny das Zentrum des größten Mönchsordens des Abendlandes, dem Cluniazenserordens. Im 16. Jh. beschleunigten die Religionskriege den Niedergang. Der Verkauf der Gebäude als Nationalgüter im Jahr 1789 besiegelte das vorläufige Ende.
Erst 1862 wurde die Abtei unter Denkmalschutz gestellt, nachdem ein lokaler Bauunternehmer bereits einen Großteil gesprengt und als Baumaterial verwendet hatte.
Auf eine ähnliche bewegte Geschichte blickt das Chateau de Pierreclos zurück. Bis ins Jahr 1200 als an dem jetzigen Ort ein Kirche gegründet wurde. Neben dem „hundertjährigen Krieg“ um 1422 und der französischen Revolution fanden zahlreiche andere Konflikte rund um das Chateau statt. Heute kann man, neben einer wunderschönen Kapelle, beinahe das ganze Gebäude besichtigen. Eine original ausgestattete Küche, den Weinkeller und – entweder aus Lust oder Notwendigkeit – den hauseigenen Kerker. Passend dazu sind mittelalterliche Folter und Operationsinstrumente sowie Gemälde und Abbildungen zu sehen. Der Unterschied zwischen Leben erhalten und zerstören entzieht sich dem Betrachter teilweise, vor allem bei mangelnden Französischkenntnissen.
Neben der Geschichtsträchtigkeit des Bodens, sei auch dessen Fruchtbarkeit erwähnt. Denn zu der ausgezeichneten Küche gehören natürlich die regionalen Weine. Im südlichen Burgund werden tatsächlich zu etwa 80% Weißweine angebaut. Wir treffen Nicolas Maillet, ökologischer Weinbauer aus Verzé dessen Charme, Lebendigkeit und Passion der Art ansteckend ist, dass wir ihm diese kleine Fotostrecke widmen mussten. Seine kompletten Weinberge werden von Hand bestellt, damit die Traktoren den Boden nicht verdichten und wertvolle Bakterien erhalten bleiben. Sein Credo nur das Beste für das beste Erzeugnis geht hier voll auf – alles ist zu 100% ökologisch. Auf Marketing verzichtet der Weinbauer völlig, es reiche vollauf, so Maillet, ein Glas zu probieren. Sein größter Wunsch wäre es, die großen Genossenschaften der Region würden wie er, auf die Qualität der Trauben und Böden vertrauen und auf Pestizide verzichten.
Und so ganz Unrecht hat er mit dem „Einfach Probieren“ nicht. Tatsächlich sind wir nur auf Ihn gestoßen, weil uns im Restaurant des Chateau Igé am Abend zuvor einer seiner Weine serviert wurde und uns überwältigt hatte. Manchmal gehen Konzepte einfach auf – von dem besagten Wein allerdings, einem Bourgogne 2009 konnten wir zu unserem Leidwesen nur noch 3 Flaschen erwerben, da er schlicht und ergreifend ausverkauft war.
Wir fahren weiter ins „Herz des Burgunds“ westlich von Dijon. Seit etwa 20 Minuten sind uns weder Autos noch Menschen begegnet. Wälder und Wiesen sind saftig grün, ab und an springt ein Reh in kuschelige Hecken. Die ganze Landschaft besteht aus grünen Wattebäuschen. Mal einzeln hingetupft, woanders zu gewaltigen Wolken aufgetürmt. Das einzige Geräusch sind singende Vögel. Mitten im Nichts des Grün beginnt eine steinerne Mauer, die uns der Straße folgend, zu einer kleinen Ansammlung Häuser führt, die seit Jahrhunderten unverändert scheinen. Hinter der Mauer erkennen wir die Giebel eines Klosters. Die Mauer weiter entlang öffnet sich ein schweres eisernes Tor wie von Geisterhand, als wir kurz davor zum Stehen kommen.
Es erinnert an die berühmte Szene aus Kubricks „Eyes wide shut“. Dahinter verschmelzen Bilderbuch und Realität.
Wer nicht romantisch war, muss es hier werden.
Ein verwunschener Park, jahrhundert Jahre alter Baumbestand, ein weißes Ruderboot auf einem kleinen See mit Wasserfall und Insel, wilde Gänse, eine Mühle, ein mit knirschendem Kies bedeckter Weg. Keine Menschenseele weit und breit in diesem Paradies. Am Ende des Parks taucht die Abbaye de la Bussiere auf.
1131 als Cistercienser Orden gegründet wurde die Abtei 2005 von der Kirche aufgegeben, da sie wohl finanziell nicht mehr in der Lage war, die staatlichen Auflagen zu erfüllen. Glück für Clive und Tanith Cummings, die das Anwesen erwarben und mehr als 8 Mio. Euro in den Umbau zum Luxusresort investierten.
Wir betreten die Eingangshalle. Eine Mischung aus Erfurcht, Erstaunen, Freude und Demut oder einfach einer der seltenen Momente, auf die nach dem sprichwörtlichen WOW Sprachlosigkeit folgt. Mit absoluter Detailverliebtheit wurde einfach alles, was sich hier quer durch die Jahrhunderte architektonisch abgespielt hat, restauriert. Das Ergebnis ist frappierend. Der Kalkstein ist so weiß und präzise geformt, wie er es nur im Neuzustand gewesen sein konnte, den es allerdings aufgrund der damaligen Fertigungszeiten, wohl nie gab. Die Klarheit dieser Baumaterialien, selbst Wandgemälde aus dem 13. Jh. wurden präzise unter weißer Farbe freigelegt, ist schlicht und ergreifend einzigartig. Eine Materialschlacht,- wie man sie in Ihrer zeitgenössischen Qualität wohl nur aus Dubai kennt-, aber hier in authentischer, 1000 Jahre alter Geschichte und eben kein Disneyland wie anderen Orts.
Mein erster Gedanke ist, dass derjenige, der das renovieren ließ, finanziell schmerzfrei sein müsse.
Mein zweiter ist, dass das Hotel mit gerade mal 18 Zimmern, wohl einen ökonomischen Gau darstelle. Mein dritter Gedanke generiert die Frage, warum jemand, der sich so ein Objekt leistet, sich überhaupt Gäste ins Haus holt und nicht einfach das pure Dasein genießt.
Die Tür einer der hinteren Räumlichkeiten öffnet sich und eine Gruppe Männer tritt heraus. Der am unprätentiösen Gekleidetste scheint zugleich der Dynamischste und der Tonangebende zu sein. Regelrecht wie ein Wirbelwind tritt er auf mich zu: „ Hi, I`m Clive, give me two seconds“. Ich bekomme zunächst eine Hausführung, erfahre alle Details zur Geschichte und zu Restaurationsproblematiken. Mir brennen meine 3 Gedanken unter den Nägeln. Auf die finanzielle Situation angesprochen – meine Neugier war stärker als die gute Erziehung -, erfuhr ich Erstaunliches. Clives Vater war Besitzer eines Pubs in England und arbeitete sich langsam zum Hotelbesitzer hoch. Clive wuchs mit seinen Geschwistern quasi in Hotelbetrieben auf. Schließlich entdeckten sie die zum Verkauf stehende Abbaye und verkauften die Betriebe in England, um das gesamte Kapital in das neue Projekt zu stecken. Clive erzählt von schlaflosen Nächten, horrenden Krediten und dass er mit seiner Familie, selbst den 2 wöchigen Spanienurlaub diskutieren muß. Ohne Passion und Vision ist hier nichts zu machen. Um so bewundernswerter, wie viele Kleinigkeiten Clive detailgetreu restaurieren ließ, auf Kosten schneller Gewinne.
Doch genau diese Leidenschaft scheint die Sache zum laufen zu bringen.
2008 zu Andrew Harpers „Hideaway of the Year“ gewählt, 2007 und 2010 erhielt das hauseigene Restaurant um Emmanuel Hébrard den begehrten Michelin Stern. Wenn Sie mal staunen möchten lieber Leser, durchstöbern Sie doch einfach mal die Rezensionen im Internet. Einen Haken hat die Sache allerdings: Um wie wir in den Genuss einer Unterkunft zu kommen, sollte man sich, in dem teilweise auf Monate hinaus ausgebuchten Haus, rechtzeitig um eine Reservierung bemühen.
In dieser Abbaye kommt einfach alles zusammen, was einen perfekten Urlaub ausmacht. Absolute Ruhe, Kultur, Luxus, Schönheit, Natur und die unvergessene Sterneküche von Emmanuel.
Am nächsten Morgen verabschiedet sich Clive von mir – er müsse einen Journalisten der Times aus London vom Bahnhof abholen. Auch für uns war es der letzte Tag im französischen Burgund, mit der Hoffnung, Sie zu einem kleinen Trip in diese Region inspiriert zu haben.
Tobias Vetter