„Der Optimist erklärt,dass wir in der besten aller Welten leben,und der Pessimist fürchtet, dass dies wahr ist.“
James Branch Cabell
Wer in den achtziger Jahren aufgewachsen ist, kannte den an Dieselruß qualmenden VW Bussen angebrachten Aufkleber: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann“. Jüngere Generationen benötigen eine Greta Thunberg, um von der Botschaft des Einen Planeten zu erfahren.
Dabei sind wir die Generation, die gelernt hat, sich über ihre Individualität zu definieren. Die zugehörige Spielregel lautete zunächst einmal Konsum. „Ich konsumiere, also bin ich“ und meine Einzigartigkeit drückt sich in dem Maße aus, wie die Summe aller Artikel die ich mir einverleibe, ein mosaikartiges Abbild meiner Persönlichkeit ist. Mehr und mehr wird uns aber bewusst, dass entgegen dem Versprechen von ewigem Wachstum dieses Verhalten keine in die Unendlichkeit führende Einbahnstraße ist, sondern vielmehr eine Sackgasse.
Auch wenn wir uns also als Unikate empfinden, vielleicht sogar als Solitäre, sind wir doch Teil eines kosmischen Geflechtes. Den Planeten gibt es ohne uns, uns aber nicht ohne den Planeten. Wir sind von unserer Biosphäre in einem Maße abhängig, indem wir die Gewissheit darüber zu verdrängen suchen. Denn darin ist der Mensch wahrhaftig genial.
Mit T.C. Boyle und Ian McEwan nähern sich zwei der großen, zeitgenössischen, englischsprachigen Literaten diesem sensiblen Thema: Das Individuum in Abhängigkeit zu seinem Lebensraum. Die Gegensätzlichkeit ihrer Plots könnte größer kaum sein und doch nähern sie sich der menschlichen, existenziellen Verletzlichkeit zielstrebig und schonungslos an.
So ist der Protagonist in Ian McEwans „Nussschale“ ein ungeborenes Baby, welches in seiner Fruchtblase schwimmend zum stummen Zeugen des Beziehungsdramas seiner leiblichen Eltern wird. Ganz Individuum, mit eigenen Gedanken, Gefühlen und sogar Pläne schmiedend ist es ein passiver Beobachter, gefangen in der Welt, die es am Leben hält: Der mütterliche Bauch. Doch wie fragil dieses Konzept des Individuums ist, zeigt sich in der Ohnmacht der Abhängigkeit. Jeder Rausch, jede Zigarette, jedes schwerverdauliche Junkfoodfett oder der demütigende Geschlechtsverkehr mit dem Nebenbuhler seines Vaters wird zur Wirklichkeit dieses kleinen Menschen. All die Ängste und Intrigen der Mutter sind auf geheimnisvolle Weise mit ihm verbunden und werden zu seiner Welt. Mit seinem eigenen Leben ist er abhängig von diesem großen Laib und es liegt bereits jetzt in seiner eigenen Existenz begründet, dass er sich schuldig machen muss, will er seine Bestimmung verwirklichen: Leben.
Nicht weniger Abhängig von einer komplexen und fragilen Welt sind die Helden in T.C. Boyles Roman „Die Terranauten“. In Anlehnung an das Biosphäre 2 Projekt, welches Anfang der neunziger Jahre in Arizona mit dem Ziel errichtet wurde, ein sich selbsterhaltendes Ökosystem zu schaffen, schildert Boyle die Geschichte um die acht „Terranauten“, die über zwei Jahre in diesem geschlossenen Lebensraum überleben möchten.
Erstaunlich ist dabei zu erfahren, in welcher unkontrollierbaren Komplexität Ökosysteme funktionieren. Denn um in einem geschlossenen System – und nichts anderes ist auch unser Planet – Leben möglich zu machen, müssen alle Faktoren sensibelst aufeinander abgestimmt werden. Ansonsten kippt es in kürzester Zeit und überleben ist unmöglich – vielleicht von einigen Bakterien einmal abgesehen. Im wirklichen Leben gelten das Biosphäre 2 Projekt als gescheitert und andere Projekte mit ähnlicher Intension, wie z.B. das Mars 500 Projekt, dass einen Flug zum Mars simulieren sollte und eine Gruppe von Wissenschaftlern über 525 Tage lang einschloss, als strittig.
T.C. Boyle lässt zumindest die Frage offen, inwiefern sich ein stabiles, unabhängiges Ökosystem errichten ließe.Doch wie zu erwarten, scheitert die Idee am Faktor „Mensch“. Es ist eine perfekte Parabel unserer heutigen Zeit. Ausgerüstet mit spezifischem Wissen und technischem Know How sind wir nicht in der Lage, im stabilen Miteinander zu coexistieren. Es sind die gleichen Faktoren, welche die Spezies Mensch erfolgreich machen, die sich bei Verknappung von Ressourcen gegen ihn wenden. Und so verzweifeln hochintelligente, gebildete Menschen, weil sie in einen nicht zu entwirrenden Strudel aus Sexualität, Egoismus und Abgrenzung geraten. Ein auf Vernunft basierendes Miteinander scheint unmöglich geworden. Doch bei allem berechtigten Pessimismus lässt Boyle sich ein Hintertürchen offen – welches ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten kann.
• Tobias Vetter