Sean Scully im Porträt
„The end of art is peace“ – Seamus Heaney |
Wenn Joseph Beuys davon sprach, dass es in der Kunst darum gehen würde seine Wunden zu zeigen, dann ist es in dessen Oeuvre wesentlich leichter nachzuvollziehen, als in den abstrakt, gemalten Blöcken eines Sean Scullys.
Sean Scully – ein Außenseiter und das von Beginn an. Als geborener Ire wuchs er im London der 60er-Jahre heran. Eine Jugend geprägt von Armut und Gewalt. Er erzählt u. a. davon, seinen Unterhalt mit Billardwetten verdient zu haben – überhaupt ein Mensch, der ein reiches Repertoire an skurrilen Anekdoten zu bieten hat.
In der Malerei findet er sehr schnell eine Sprache, die ihn zwar reflektiert, aber nicht verurteilt. Verurteilen tut er sich selbst: Wenn er zarte und vorsichtig ertastete Flächen, transparente und weiche Bereiche, fließende Übergänge und Berührungen zweier Farben, mit immer groberen Mitteln zu unterbinden sucht. Es ist, als ob er all die Weichheit und Verletzlichkeit zu-betoniert. Doch wie auf einem in die Jahre gekommenen Parkplatz, findet das Leben seinen Weg an die Oberfläche. An jedem Spalt, hinter jedem kleinen Riss, pulsiert das Leben, ist der Wille erkannt und geliebt zu werden.
Sean Scully ist dabei der nimmer müde Maurer, der mit keltischer und stoischer Ausdauer versucht, seine Mauern zu schließen. Dabei bleibt er immer das einsame Kind, das hinter der Mauer, die ihn schützen soll, von der Welt und der Liebe getrennt bleibt.
Beinahe tragisch, dass seine „backsteinhaften“, schweren Ölgemälde die stärksten Arbeiten seines Oeuvres darstellen. Genau dort, wo sich die Tragik seiner Persönlichkeit aufs Intensivste offenbart, zeigt sich durch diese Authentizität seine große Bedeutung als zeitgenössischer Maler.
Dabei sah es zunächst nach einer reibungslosen Karriere aus. Recht früh wird er von Kunstkritikern erkannt und gefördert. Er heiratet und bekommt einen Sohn. Als dieser bei einem Motorradunfall starb, war es, als ob der innere, schon lebenslang gefühlte Schmerz die Oberhand gewann – wie bei einer schlechten Schicksalsbeschreibung in einem Groschenroman.
Der Kunstwelt kann er bereits zu diesem Zeitpunkt nichts mehr abgewinnen. Sean Scully kommt in seiner Karriere immer einen Schritt zu spät. Bevor er im Lob und in den Huldigungen der Kunsthistoriker, Kuratoren und Sammler genesen könnte, hat er zuvor deren wahres, hohles und narzisstisches Gesicht zu deutlich gesehen.
Und so nimmt er mit einem spöttischen Lächeln, sein eigenes Wachsen und seine eigene Karriere in unserer zeitgenössischen Kunstwelt zur Kenntnis.
Sean Scully ist ein zutiefst romantischer Maler. Seine Bilder sind keine vergeistigten Abstraktionen kühner Theorien. Sie sind das Ergebnis eines von Grund auf ehrlichen und klaren Farbauftrages, eines unmittelbaren Duktus und die Summe einer äußerst sensiblen Farbwahrnehmung. Mit jedem ersten Pinselstrich eines Bildes reißt er eine innere Wunde auf. Mit jeder weiteren Schicht versucht er, sie zu heilen oder zumindest zu verschließen, sich stets darüber wundernd, dass es innerlich noch schmerzt. Der berühmte irische Autor Seamus Heaney schreibt, dass das Ende der Kunst Friede sei. Und hier schließt sich der Kreis zu Joseph Beuys: In der Gewahrwerdung seiner Wunden liegt der Beginn der Heilung. Die Heilung der Wunden ist der Anfang von Frieden.
Vor 9 Jahren ist Sean Scully nochmals Vater geworden. Ich wünsche ihm, dass ihm das die Kraft gibt, seine Mauern fallen zu lassen und seine Wunden durch Vergebung heilen zu können. Ich wäre sehr gespannt, wie sich das auf seine Malerei auswirken würde.
Tobias Vetter
Anmerkung zu diesem Text:
Alle Informationen zu diesem Artikel stammen aus persönlichen Gesprächen unseres Autors mit Sean Scully und sind seine daraus resultierenden Interpretationen. Sie stellen kein offizielles Statement Sean Scullys zu sich oder seiner Malerei da.
Sean Scully
zu sehen in der ständigen Kunstsammlung des
„The Merrion Hotel“
in Dublin | Irland