Katholizismus im Wandel – eine Kirchenkritik
Nach der Ernennung Joseph Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. war die Euphorie schnell Ernüchterung gewichen. Die Hoffnung des breiten – zumindest deutschen – Volkes, er würde die Kirche in eine neue Ära der Liberalität führen, musste durch seine erzkonservative Grundhaltung enttäuscht werden. Seine charismatische, liebenswürdige Art, sein scheinbar unerschöpflicher geistiger Reichtum, standen in merkwürdig anmutendem Widerspruch zu seinen theologischen Richtlinien.
Ganz anders unser aktueller Papst Franziskus, der die Nähe des einfachen Volkes sucht und offen für liberale Ideen den Dialog startet. Sei es in Fragen der Homosexualität, der Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften oder der Stellung der Frau in der Kirche.
Letzten Endes ist es auch eine Wertefrage, die über Erfolg und Misserfolg von Glaubensgemeinschaften entscheidet. Seit der Aufklärung befindet sich die Kirche in einem Wertewettstreit mit den weltlichen Mächten. Dabei hat gerade die katholische Kirche – auf deren Wertesystem unsere westliche, abendländische Kultur fußt – einen entscheidenden Nachteil. Um überhaupt in den Genuss einer monopolistischen Vormachtstellung zu gelangen, nahm die katholische Kirche für sich die alleinige Vertretung der Wahrheit in Anspruch. Diesen Wahrhaftigkeitsanspruch führt sie auf die Gründung der Kirche durch Jesus Christus zurück.
Während seit der Aufklärung vor allem die Wissenschaft traditionell den Wertekanon der Kirche infrage stellt, haben vor allem Ereignisse der letzten 100 Jahre zum wachsenden Wandel beigetragen. Da haben uns zum einen die Psychoanalyse und die damit verbundene Geisteswissenschaft der Psychologie gezeigt, wie sich das Individuum seiner Eigenverantwortung und der damit verbundenen Möglichkeiten der persönlichen Glücksfindung bewusst wird.
Ereignisse wie der Holocaust haben gezeigt, welche zwingende Notwendigkeit Demokratie, Toleranz und Liberalität für eine Gesellschaft haben.
Der Untergang des Katholizismus?
Die islamisch, fundamentalistisch geprägten Terroranschläge der vergangenen Jahre haben drastisch vor Augen geführt, dass Glaubensgruppen, die für sich einen alleinigen Wahrhaftigkeits- und Handlungsanspruch einfordern, immer in einer gesellschaftlichen Sackgasse sind.
Die Kirche hat immer sehr genau wahrgenommen, wie diese äußeren Umstände zum gesellschaftlichen Wandel beitrugen. Allein der vermeintlich richtige Umgang damit macht ihr zu schaffen. Theologisch möchte ich dem Dogmatiker der Piusbruderschaft Matthias Gaudron in einer Sache Recht geben: Die Kirche in Deutschland wird zusammenbrechen.
Denn um gesellschaftlich glaubwürdig zu bleiben, muss die Kirche sich wandeln – und verliert damit ihr Fundament. Das zeigt sich in – fast schon erheiternden – Situationen, wie der Rehabilitierung von Nikolaus Kopernikus, genauso wie in den ökumenischen Tendenzen seit dem 2. Vatikanischen Konzil.
Die Kirche versucht den Spagat aus Toleranz für andere Glaubensgemeinschaften und Beibehaltung des Absolutheitsanspruches.
Unsere Gesellschaft ist aber längst liberal und aufgeklärt. Wir akzeptieren Homosexuelle und Frauen längst als gleichberechtigt. Selbst unsere konservativsten Parteien arbeiten an Gesetzesänderungen zur Gleichstellung. Unser Alltag ist geprägt vom multikulturellen Dialog, von der Integration anderer Religionen. Unsere demokratische und liberale Grundhaltung gebietet eine Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von Hautfarbe oder Religion. Die Idee, dass das Christentum die einzig wahre Religion sein soll, ist immer weniger vermittelbar.
Und während diejenigen, die noch Mitglied der katholischen Kirche sind, auf einen Wertewandel drängen, muss die offenere, protestantische Kirche enttäuscht feststellen, dass auch sie von einem Mitgliederschwund betroffen ist. Es ist nämlich ein Trugschluss zu glauben, dass die Kirche sich retten kann, wenn sie den Dialog mit Homosexuellen, anderen Religionsgemeinschaften etc. sucht. Es ist die Empörung der bestehenden Mitglieder, die sich an der Differenz ihres persönlichen Wertekanons und dem ihrer Kirche stoßen.
Die Kirche verliert also ihre Stellung als internationale Superorganisation so oder so. Behält sie ihren dogmatischen Wertekanon, verliert sie weiter täglich Mitglieder aufgrund ihrer Unglaubwürdigkeit. Öffnet sie sich und passt sich unseren gesellschaftlichen Werten an, entzieht sie sich ihrer Existenzberechtigung, da sie schlicht und ergreifend überflüssig wird.
Gleichzeitig gewinnen fundamentale Splittergruppen wie die Piusbrüder an Mitgliedern.
Nur scheinbar ein Widerspruch. Denn während der aufgeklärte und spirituelle Mensch längst keine Glaubensinstitution mehr benötigt, braucht der schwache, orientierungslose immer einen Führer. Ein Führer zeichnet sich durch seine vermeintliche Stärke aus und diese wird am einfachsten in der Abgrenzung gegen das Andere aufgezeigt – gepaart mit dem alleinigen Wahrhaftigkeitsanspruch hat das historisch gesehen leider schon oft genug funktioniert.
Und so landen wir in einer pluralistischen Gesellschaft, in der der aufgeklärte Mensch hoffentlich in der Mehrzahl bleibt, gegenüber den vielen, kleineren aber radikalen Gemeinschaften.
Was feiern wir noch mal an Weihnachten? Nein, nicht die Playstation 4, sondern die Geburt von Jesus Christus, Gottes Sohn, Heiland und Erlöser.
Würden Sie meinem Verein beitreten, wenn ich Ihnen das an der Haustür erzähle und nebenbei einen Teil Ihres Jahreseinkommens einziehen möchte? (Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit sind Sie, lieber Leser, seit Ihrer Taufe bereits „Member“.)
Ich feiere – ganz gegen die Leitlinie Joseph Ratzingers – mein persönliches Weihnachten mit den Werten, die ich in meinem eigenen spirituellen und geistigen Dialog über die Jahre zusammengetragen habe.
In diesem Sinne – frohes Fest und ein selbstbestimmtes, freiheitliches und erfüllendes 2014.
Tobias Vetter